Gitte auf dem Weg zur Arbeit

Es ist immer aufregend, wenn zwei Welten aufeinander prallen - oder sich zumindest leicht touchieren. So geschehen am Freitag, als ich gegen Mittag auf dem Weg zur Arbeit aus dem Bus stieg. Vor mir stieg eine stark gebräunte und geschminkte Frau aus, deren strahlend blaue Augen mich im Bus beiläufig angesehen hatten. Sie lief ein paar Meter vor mir in die gleiche Richtung wie ich, so dass ich unter ihrem knappen T-Shirt ein massives Arschgeweih ausmachen konnte. Als ich dann auch noch die recht große Tasche bemerkte, die sie trug, machte es klick bei mir. Sollte Sie etwa...?

Dazu muss man wissen, dass ich vor dem Besuch bei Caro im örtlichen erotischen Dienstleistungssektor recherchiert habe, wie ein jeder hier nachlesen kann. Bei diesen Recherchen fand ich nebenbei heraus, dass meine Arbeitsstelle von Etablissements quasi umzingelt ist. Von zweien hatte ich schon länger gewusst, weil dort stets bunte Herzen an der Fassade blinkten, aber das Massagestudio gleich um die Ecke war mir neu. Schrie das nach einer entspannenden Feierabend-Massage am Ende eines anstrengenden Arbeitstages? Wahrscheinlich keine gute Idee. Und wusste mein Kollege Robert, der sogar gleich um die Ecke wohnt, eigentlich, wo er da wohnt? Falls ja, war das etwa Absicht vom Robert? Denn wer wohnt schon freiwillig so nah bei seiner Arbeitsstelle? Es sei denn...

Nach diesen wahrlich schockierenden Enthüllungen konnte ich erst einmal drei Nächte schlecht schlafen, bevor ich mich zusammenriss und wieder ganz normal zur Arbeit fuhr. Aber was ist schon normal, wenn man weiß, dass um den eigenen Schreibtisch herum die Sünde lauert? Jedenfalls bemerkte ich bald, dass mein Radar anging, wenn ich auf dem kurzen Weg vom Bus zum Büro war. Oder mir mittags was beim Bäcker holte. Oder ich in der Küche stand und auf die Straße schauen konnte. Vielleicht lief ja gerade eine Dienstleisterin vorbei, gut gelaunt auf dem Weg zur Arbeit und bestimmt darauf aus, von mir als solche erkannt zu werden. Bloß woran eigentlich?

Ach, wäre ich doch unwissend geblieben, dann wäre es nie so weit gekommen.

Und dann kam der letzte Freitag. Plötzlich tauchten vor meinem imaginären Auge lauter fette Pfeile auf, die auf die überwältigenden Indizien an der Frau vor mir hinwiesen: einer auf ihre Tasche, ein anderer auf ihr Arschgeweih, noch einer auf ihr Makeup. Und weil sie auch noch in die Richtung des Massage-Salons lief, piepte mein Radar außergewöhnlich laut. Diesmal war es nicht bloß wieder die Bäckereifachverkäuferin, der ich das alles andichtete, diesmal war mehr drin, da war ich mir sicher. Also verlangsamte ich taktisch klug meinen Gang, so dass sie mehr Vorsprung hatte, ich sie aber nicht aus den Augen verlor. Mein Plan war, sie möglichst lange zu beobachten, ohne dabei als der perverse Spanner aufzufallen, der ich in dem Moment war. Ich wollte es einfach wissen. Und das gelang: Kurz bevor ich nach rechts zum Büro abbiegen musste, sah ich, wie sie links über die Straße geradewegs auf das Studio zulief. Mein Arbeitstag konnte beginnen.

Am Abend ergab dann eine kurze Recherche, dass es sich bei der Dame um Gitte handelte. Die Fotos im Netz zeigten dieselben blauen Augen und dasselbe Arschgeweih. Jetzt weiß ich also, wie Gitte auf dem Weg zur Arbeit aussieht. Darauf kann ich mir was einbilden.

Nachdem die kindliche Aufregung über meinen Sensationsfund verflogen war, setzte das Hirn wieder ein, und mit ihm die unbequeme Frage: Tut das Not? Auf dem Weg zur Arbeit ist mein Kopf in der Regel schon im Arbeitsmodus, da sind Gedanken an erotische Massagen (also die Arbeit manch Anderer) vielleicht gar nicht hilfreich. Ich finde es jedenfalls merkwürdig, wenn das immer vorhandene Potenzial dieser glitzernden Scheinwelt in meiner eigentlich drögen Arbeitswelt so präsent ist. Meiner Konzentration hilft es nicht. Es muss doch auch mal Orte ohne Sex geben, denke ich mir. Und Gitte würde mir sicherlich zustimmen, wenn sie hiervon wüsste.

Ob sie wohl heute arbeiten musste?

Caros Bürokratieabbau

Die Sexsteuer auf Tantra-Massagen ist in aller Munde. "Das ist ungerecht, weil eine Tantramassage ja gar kein Sex ist!", rufen reflexartig alle, die beim Tantra am liebsten ficken würden. Aber ist es nicht eher ungerecht, dass die Steuer nur in Stuttgart erhoben wird, während die Kölner Filiale des Tantra-Instituts nicht zahlen muss?

Edouard Debat-Ponsan - Le massage au Hamam
Quelle: Wikimedia Commons

Über solche lästigen Details haben Caro und ich uns nicht unterhalten, als ich im Frühjahr in ihrem Tantrastudio war. Das hätte auch nicht zu der sinnlichen Atmosphäre gepasst, die Caro so wichtig war, um den Alltag draußen zu lassen. Diese Atmosphäre herzustellen ist gar nicht so einfach, wenn das Studio mitten im Gewerbegebiet liegt und sich mehrere weniger niveauvolle Etablissements in der unmittelbaren Nachbarschaft befinden - eigentlich ein guter Nährboden für lästige Dinge wie Steuerfragen. Doch wer Caro einmal erlebt hat, wird schnell an die schönen Seiten im Leben denken.

Sie ist eine Vollblut-Tantrikerin mit einem strahlenden Lächeln und einer offenen Seele. Ich kann mit Esoterik jeglicher Art nichts anfangen, aber als Caro über die magische Symbiose von Körper und Geist sprach, war ich ganz Ohr, besonders bei dem Teil über den Körper. Falls Esoterik gute Seiten hat, vereinigen sie sich alle in ihr. Ich fand es gut, dass sie ihre Spiritualität nicht durch große Predigten ausdrückte, sondern immer wieder ihre Bewunderung für die kleinen Dinge zur Sprache brachte. Da hörte ich ganz entspannt zu, ohne zu merken, dass unser Einführungsgespräch sicherlich eine halbe Stunde dauerte. Aber ich durfte ja auch mal was sagen.

Als ich dann aus der Dusche kam, erwartete sie mich in der Mitte des Raumes. Sie trug ein transparentes Tuch, das sie fallen ließ, als ich mich im Schneidersitz ihr gegenüber setzte. Ich war von diesem Anblick sehr angetan, denn ihr Körper versprach, was ihre Lippen zuvor beschrieben hatten. Als ich noch am Staunen war, fing sie an, jeden Teil meines Körper nacheinander mit einem Kuss zu versehen und dabei ihre högschde Verehrung für wirklich alles an mir zu bezeugen. Das gefiel vor allem meinem Lingam so gut, dass er spontan Lust auf eine Runde Erotesik bekam. Oder wie heißt das?

Aber da Caro einen Plan hatte und ich diesem überzeugt folgen wollte und wir außerdem noch drei Stunden vor uns hatten, verhielt ich mich erstmal ruhig. Im Nachhinein war das eh das Beste, was ich machen konnte, denn Caro war nicht umsonst in der lokalen Lusthaus-Spitzengruppe. Ich hatte mich natürlich vorher informiert, wie bei allen Kapitalanlagen. Sie bot mir ein leidenschaftliches Programm aus tatsächlicher Massage und innigen Berührungen, bei denen ich ihr zu jeder Zeit abnahm, dass sie mit vollem Herzen dabei war. Ich lag im Laufe der Massage auf dem Bauch, auf der Seite, auf dem Rücken, in ihrem Schoß, unter ihr, neben ihr... nur nicht in ihr, denn ich war ja in einem seriösen Studio, selbst wenn das Finanzamt es anders sehen mag. Sex* gab es trotzdem: Meine Hände durften sie streicheln, meine Zunge durfte ihre Brüste erkunden und zum Abschluss durfte meine Prostata ihren Finger willkommen heißen. Das machte die Sache rund.

Am Ende war ich fast vier Stunden bei ihr, musste aber nur die vereinbarten drei zahlen. Netto war in diesem Fall mehr als Brutto. Sehr entspannt und sehr froh verabschiedete ich mich aus Caros Oase ins dunkle Gewerbegebiet. Ich versuchte, nicht an meine Steuererklärung zu denken, die am Wochenende anstehen würde.



* Beziehungsweise "kein Sex" nach Tabsies Definition von Sex.

Neulich im Gewerbe(gebiet)

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